Montag, 8. Juli 2013

Huayna Potosi (6088m)

Das erste Getöse in unserem Lager ging um kurz vor Mitternacht los. Ein Wecker klingelte, und es rumorte. Bis ca. 2:00 Uhr morgens kam es ständig vor, dass jemand aufstand, an dem Tisch im Lager frühstückte, die Ausrüstung anzog, die Ausrüstung wieder auszog und rumkramte. Wir hatten schon am Vortag und von Berichten erfahren, dass viele zwischen 1:00 Uhr und 2:00 Uhr zum Gipfel aufbrachen. Die immer wieder angeführten Gründe hierfür sind: 1. die Sonne ist auf dem Gletscher zu heiß und brät einen, 2. wenn die Sonne kommt, bekommt man Kopfschmerzen, 3. die Sonne macht den Schnee pampig. Aus unserer Erfahrung in den Alpen und den anderen Bergen, die wir bisher in Bolivien gesehen hatten, hielten wir es nicht für ratsam oder erstrebenswert, den Gipfel als eine komplette Nachtwanderung zu unternehmen.

Unerwarteter Weise waren wir beide wieder eingeschlafen, als unser Wecker um 3:00 Uhr morgens klingelte. Die Themperatur im Lager war ungefähr (so wie wir sie aus dem Zelt kannten) bei 0°C. Wenn wir unser Gepäck selber tragen mussten, verzichteten wir notgedrungen auf Luxus, und so konnten wir nicht in den warmen Daunenjacken frühstücken, wie wir es sonst immer getan hatten. Dafür zogen wir aber schon fast alles an, das wir mit hoch genommen hatten. Zum Frühstück gab es im Rucksack aufgeplatztes Müsli und Himbeertrinkjoghurt, der bei 0°C zum Glück noch flüssig war.

Kurz hinter der Hütte legten wir unsere Gurte, Steigeisen und das Seil an, zückten die Eispickel und Teleskopstöcke und brachen um 3:56 Uhr auf knapp 5150m zu unserem für diesen Urlaub letzten Versuch an einem Sechstausender auf.

Wir folgten der gut ausgetretenen Spur auf dem Gletscher stetig ansteigend nach oben. Es wehte ein extrem kalter Wind, der uns ziemlich zusetzte. Wir folgten der Spur ziemlich lange und monoton den Gletscher hinauf. Unsere Zehen waren Eisklumpen. Unsere Finger wurden in den Handschuhen nicht warm. Der Wind ging sogar durch meine Windstopper Mütze. Trotz der widrigen Verhältnisse fühlten wir uns ein bisschen wie Hollywood-Stars, da es immer wieder ein kleines Blitzlichtgewitter um uns herum gab. Anscheinend handelte es sich dabei um entferntes Wetterleuchten.

Wir machten eine Pause und fragten uns, wann denn die Sonne endlich käme. Es war gerade erst kurz nach 5:00 Uhr und so bald brauchten wir noch nicht auf die wärmenden Strahlen zu hoffen. Wir zogen über die zwei Oberteile und die Windstopperjacken noch unsere Regenjacken und setzten die Kapuzen auf, was zum Glück ein bisschen gegen das Auskühlen durch den starken Wind half.

Zwei Gruppen waren uns schon auf dem unteren Gletscher entgegengekommen, da sie offenbar den Gipfel abgeblasen hatten. Eine weitere Seilschaft bestehend aus einen Brasilianer und seinem Führer aus unserem Lager überholten wir nach dem ersten steilen Aufschwung.


Um kurz vor 7:00 Uhr waren die ersten Anzeichen zu erkennen, dass auch diese Nacht in einen Tag übergehen würde. Über uns sahen wir beim Aufgang der Sonne den Gipfel des Huayna Potosi, auf dem sich nach und nach kleine schwarze Punkte versammelten. Der Großteil der Seilschaften war also pünktlich zum Sonnenaufgang auf dem Gipfel angekommen.


Wir konnten nun die Stirnlampen ausschalten, und es wurde allmählich auch ein bisschen wärmer, auch wenn die Sonne ihre volle Kraft noch nicht entfaltet hatte. Unterhalb des Gipfels auf einem kleinen Plateau mit der einzigen nennenswerten kleinen Spalte des Aufstiegs kamen uns die ersten Gruppen entgegen, die nun im Gänsemarsch den Grat vom Gipfel wieder hinunter kamen.

Einer der Führer sagte uns, der Aufstieg würde von hier noch eine Stunde dauern und seine Geführten wünschten uns viel Glück.


Nachdem wir unter dem Gipfel gequert waren, erreichten wie den Beginn des steilen und schmalen Grats zum Gipfel. Die Spur vieler Begehungen vor uns war deutlich im Firn zu sehen und erleichterte den Aufstieg. An einigen Stellen war der Grat jedoch ziemlich schmal und die Spur gerade einmal einen Fuß breit. Hier und da konnte man den Pickel in den Firn an der Seite schlagen, um noch ein bisschen mehr Stabilität beim Aufstieg zu bekommen.


Gute vier Stunden nach unserem Start erreichten wir bei Sonnenschein den schmalen Gipfel um kurz nach 8:00 Uhr auf 6088m Höhe.


Wir genossen, immer noch eingepackt in alles, was wir gegen den Wind aufbieten konnten, die Aussicht und den Moment, in dem ich meinen ersten und Chuck seinen zweiten Sechstausender erfolgreich bestiegen hatten.


Der Aufstieg hatte uns ziemlich mitgenommen. Es war anstrengend. Auf dem Plateau unterhalb des Gipfels, auf dem wir die anderen Gruppen getroffen hatten, machten wir eine kurze Pause, um etwas Tee zu trinken. Wir waren beide froh, dass es von nun an nur noch bergab gehen würde und dass der Gletscher keine großen Schwierigkeiten mehr bereithalten würde.


Nach zwei weiteren Stunden waren wir die mühsamen knapp 1000 Höhenmeter wieder hinutergewackelt und abermals am Hochlager dem Campo Alto Roca angekommen. Am Tag vorher hatten wir unsere Fahrer Fredy etwas defensiv gebeten, uns unten am Pass um 14:00 Uhr abzuholen. Den Pass sollten wir im Abstieg vom Hochlager in ca. einer Stunde erreichen können, und so versuchten wir Fredy mitzuteilen, dass er uns ein paar Stunden früher abholen sollte. Ich lief um die ganze Hütte und ließ mir Plätze zeigen, an denen ich Handyempfang haben sollte - es war vergebens, und ich konnte keinen Anruf tätigen.

Da sich schon bei unserem Abstieg wieder viele Wolken entwickelt hatten, fürchteten wir, dass es bald schneien könnte. Bei Schnee unten am Pass zu warten war nicht sehr verlockend. Oben zu warten und bei Schnee abzusteigen, war es aber auch nicht. Dennoch entschieden wir uns auf Grund unserer Erschöpfung, uns erst noch ein bisschen auszuruhen, bevor wir die Rucksäcke packen und zum Pass absteigen würden. Für weitere zwei Stunden verkrochen wir uns im Lager und dösten noch ein bisschen vor uns hin.


Nach einem kleinen Plausch mit den beiden Hüttenleuten, von denen die Frau ca. doppelt so viel war wie der Mann, packten wir unsere Sachen. Der Hüttenwart sprach ein paar Worte Englisch und klärte uns darüber auf, wie jung die Hütte noch sei. Um 12:48 Uhr verließen wir mit Steigeisen unter den Füßen die Hütte, um an den steilen Stellen direkt nach der Hütte nicht noch im Firn wegzurutschen. Einige Gipfelkandidaten des nächsten Tages kamen uns auf dem Abstieg entgegen.

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